
Die Nilgiri Hills, wörtlich die Blauen Berge, heißen so nach dem blauen Blüten des nur hier wachsenden Strauch Neelakurinji, der nur alle 12 Jahre blüht. Dann überziehen sie die Hügel mit einem blauen Teppich. Das ist zwar erst 2030 wieder der Fall, aber blau sehen die Berge auch durch die Ferne aus, die dunstige Luft, die Himmel und Höhenzüge ineinander übergehen lässt wie auf den Gemälden der Renaissance, als die Landschaft noch eine Übung in gerahmter Perspektive war. Nicht alle Kühe sind heilig. Manche haben eine Marke am Ohr und eine Besitzer. Der Schlachter trägt ein buntes Tuch als Mundschutz und säbelt mit seinem machetenartigen Messer mit gebogener Spitzen Fetzen vom aufgehängten Corpus. Neben der Metzgerei am Ende einer Sackgasse zum Flussufer hinunter meckern vier Ziegen in einem Drahtverhau. Im Gemüsemarkt nebenan thront die Händlerin mit dem Göttinennamen Parvati hinter einem Haufen Kartoffeln und Kohlköpfen. Es duftet nach Minze und Koriander. Sie pflückt eine Handvoll hellgrüner Curryblätter von einem Zweig und schenkt sie mir. Ein Stand weiter sitzen zwei junge Männer in einem Meer aus grüne Bohnen. Sie säubern sie einzeln, bis sie damit fertig sind. Ein Schneider an einer schwarzen Nähmaschine trennt eine Naht an einem kleinen Stück Stoff auf.

Die in Eierkuchenteig frittierte Banane wird auf einem Stück Zeitungspapier serviert, alles was man an Obst, Kuchen, Samosas, Möhren, Rote Bete, Kräuter lose kauft, wird in Zeitungspapier eingewickelt und mit einem Faden verschnürt. Wer liest vorher, was in der Zeitung steht? Es gibt keine Plastiktüten mehr. Keine. Es stinkt auch nirgends mehr. Innerhalb von 20 Jahren ist es Indien gelungen, dass von zuvor nur einem Drittel der Bevölkerung nun nahezu jeder Zugang zu einem öffentlichen oder privaten Klo hat. Wegen des Gefährlichkeit, sich draußen im Dunkeln zu entblößen, haben viele Frauen und Mädchen ab Nachmittags nichts mehr getrunken oder gegessen. In den Bussen sind die vorderen Bankreihen für Frauen reserviert. Bald sind Wahlen in Kerala, derzeit sind die Kommunisten an der Regierung, deshalb wird wohl jetzt die Kongresspartei gewinnen, immer abwechselnd, das sei auch gut so, sagt Mani. Er ist Touristenführer und hat grad nix zu tun, deshalb spaziert er ein bisschen mit mir durch das Marktgewusel von Munnar, er kennt sich toll in der Natur aus, sein Handy ist voller Fotos von Vögeln mitsamt deren Sound. An der Bushaltestelle checkt er die Abfahrtszeiten nach Madurai für mich, Internet und Reiseführer taugen hier nichts mehr, lädt mich zum Tee ein, jetzt whatsappen wir. Also, wenn mal jemand hier in der Gegend einen super Guide braucht: +919446719485. Hätt ihn besser auch nach dem Bus zur Top Station gefragt. Den gibts nämlich entgegen Reiseführer et all nicht, stattdessen aber fahren Jeeps in die Richtung. In einem finde ich mit einer Großfamilie und ihrem Hausstand auf dem Vordersitz neben drei schmächtigen Männern einen Platz. Nach knapp zwei sportlichen Stunden in Serpentinen an endlosen Teemonokulturen großer Firmen, an einem silbergünen und einem dunkelblauen Stauseen vorbei, wo Hunderte von Charterbussen Tausende Sonntagsausflügler auskippen, die am Straßenrand unter Eukalyptusbäumen picknicken, erreichen wir die Hillstation. Auf 1900m Höhe verhängt leider einer Wolke die sagenhafte Aussicht und statt kolonialem Luftkurortfair gibt es eine abgeranzte Shoppingmal aus Buden. Neben gefütterten Regenjacken sind rosafarbige Teddibären, Plüschherzkissen, indianische Traumfänger, Erdbeermarmeladen und lokale Schokolde im Angebot. Was es nicht gibt, sind Jeeps zurück. Musst du Anhalter, sagt einer der drei an der Teebude herumstehnden Fahrer von vollgebuchten package-touren, die man am weißen Oberhemd erkennt. Tja, wer da selber mit dem Auto hochfährt, hat schon die ganze Verwandtschaft auf dem Rücksitz. Ich hab kurz ein deja vue – mit der netten Familie, die mich seinerzeit auf der Ladefläche ihrer pickups vom Ausflugsirrtum in den Bergen Nordthailands zurück ins Tal nahm, tausche ich heute noch Likes auf Facebook aus. Die drei Fahrer aber stehn nicht mehr nur rum, eine Teelänge und ich sitz in einer Toyota-Limousine, in der sich zwei pensionierte indische Ehepaare aus Pune, Maharashtra, herumchauffieren lassen. Die Männer sind seid 43 Jahren befreudet, solange haben sie beim indischen Fahrzeugkonzern Tata gearbeitet. Bei einem Besuch im Rosengarten machen wir viele Fotos voneinander vor orgiastisch blühenden Dahlien und ich scheitere daran, mir Danke auf Maharathisch zu merken: Dhanyawaadh! Der Weihnachstkaktus heißt hier übrigens Osterkaktus, all unsere Zierpflanzen, Begonien, Fuchsien, Impatiens, Euphorbia, scheinen eh von hier zu kommen. Zum ein paar Kilometer ausserhalb gelegenen Homestay mit unfassbarer Terrassenaussicht auf die Blauen Berge nehm ich igendeinen Bus Richtung stadtauswärts, am Abzweig Second Mile zupfe ich die Kordel an der Busdecke, worauf vorne eine Glocke bimmelt und der Bus anhält. Da wartet der Händler mit den Fruchtschnitzen in den allgegenwärtigen Wegwerfbecherchen am Straßenrand. Jeden Abend betet die christliche Gastfamile lange zusammen, danach bringt der Hausherr mir Abendessen, Reis mit dem allerköstlichsten Curry meines curryreichen Lebens. Bezahlen darf ich dafür nicht, bestimmt seine Frau, die mit Bandscheibe das Sofa hütet. Der einäugige weiße Spitz und der schwarze Wachhund, der auf dem Plastikstuhl vor meiner Tür schlummert, heulen heute zusammen mit den gelbem Streunerhunden den Vollmond an.
