
Ach nee, jetzt hab ich ganz brav versucht, bisschen was von der Geschichte Kochis zu berichten, wo ich die letzten Tage herumspaziert bin, der Fährte herumstromernder Ziegen folgend ins ehemals jüdische Viertel, das heute ein pittoreskes Disneyland aus edel verdunkelten Antiquitätenshops in formidabel restaurierten uralten Lagerhäusern ist, mit vornehmen Läden voller Glitzerramsch rund um die wiederum älteste Synagoge Westindiens, die kein Museum sein will, aber durch die Busladungen europäische Bildunsgstouristen in meinem Rentenalter geführt werden, die dabei erfahren, was auch ich im Reiseführer gelesen habe, vielleicht auch von den arabischen Seefahrern von den Küsten Jemens und Omans, die schon vorher da waren und mit Gewürzen handelten, als mit Vasco da Gama die ersten Europäer nach Cochin kamen, der dann seinen dritten Besuch 1524 nicht überlebte, weshalb ein paar Gebeine des martialischen Eroberers noch in der St. Francis Kirche hier begraben sein sollen. Von den portugiesischen Kolonisatoren sind noch die ziemlich zerrütteten Festungsmauern an der Uferpromenade übrig, eine vernachlässigt auf ihrem Posten stehende Kanone und ein paar Herrschaftshäuser und Verwaltungspaläste, in denen jemand abends die Lichter anschaltet, die ansonsten aber nicht recht zu wissen scheinen, was mit ihnen noch werden soll in dieser Gegenwart, es sei denn sie wurden zu noblen Hotel für jene begüterten, also zumeist wieder alten westlichen Touristen umfunktioniert, quasi den Nachkommen ihrer einstigen Erbauer, Schuld, was soll das. Seit 1505 exportierten nach den Arabern dann die Portugiesen von hier aus Kardamon, Zimt und schwarzen Pfeffer, das einstige schwarze Gold, auch die Familiendynastie des jüdischen Händlers und Mafiosis Moraes Zogoiby, der „Moor“ aus Salman Rushdies Roma (Dank dem daran erinnernden Kollegen vom Blog Bücheratlas) machte mit den kostbaren Gewürzen aus den grünen Hügeln Keralas ihr Vermögen. Heute liegen die meisten alten Lagerhäuser brach in der sie bleichenden Sonne, im riesigen Hafen gegenüber ankern nun die grauen Kriegsschiffe der indischen Marine. Die bauen hier, sagt stolz ein älterer Herr mit Hut und deutet hinter sich. Er sitzt neben mir im Schatten eines Unterstands, eine Art archaischer Bushaltestelle aus rostigem Blech und Bruchsteinen, und tippt geschäftig in sein Tablett. Business Surveillance, sagt er, und stellt sich vor als Jayakumar. Auf seinem Handy zeigt er mir Fotos von hunderten verschiedener Ganesh-Figuren, aus Glas, Ebenholz, Halbedelstein, Plastik, er sammelt die Nippesfiguren des elefantenköpfige Gottes, ist sein Hobby. Neben unserem Schattenplatz und der Marinebaustelle liegt das denkmalgerecht renovierte Pepper House, in dem gerade ein Teil der Kochi-Muziris Biennale ausgestellt ist. Malerische Ausblicke aufs Wasser, wie, ach besser als im Arsenale von Venedig, ebenso im Aspinwall House, einer weitläufigen Anlagen eines einstigen britischen Handelsunternehmens aus dem 18. Jahrhundert, weißgetünchte Mauern, schwarzes Edelholzgebälk, wo die Hauptausstellung der Biennale beherbergt wird. Schatten, Bänke, Trinkwasser, gutaussehende junge Menschen. Filme, Fotos, Videos in wohl ventilierten Räumen. Hingebungsvoll umd sehr lange gucke ich das Dokumentarvideo einer Samikünstlerin aus Norwegen an, weite Schneelandschaften, weiße Horizonte, Hungerkrise bei den Rentierherden wegen Klimawandel-Kälte. Die elegischen Filmeinstellungen von armen Dammbauern im Nordsudan bannen mich, Nahaufnahmen schlammig gelber Wasserfluten in Mehrfachprojektionen, auch Bombay in Webcamzooms vom Himmel die Wolkenkratzer hinunter in die Slums zu Filmmusik hält mich gefangen, bevor ich mich wieder in die schwüle Unwirklichkeit der realen Welt draußen wage, in den weiten Hof mit Schaukeln an alten Bäumen und der Bar mit Cappucchino in winzigen Pappbechern. Der jüdische Friedhof ist für Besucher geschlossen, eigentlich alle Friedhöfe bisher, aber was will ich auch auf Friedhöfen, außer Frieden und vielleicht eine Bank im Schatten, wenn es doch den Hocker und Getränke aus der Kühltruhe an der Straßenbude gibt und dazu Fettküchlein und Selfies mit der strahlenden Budenbegreiberin? Und was war mit ach nee? Mein neuer Gasthauswirt im bereits nächsten Ort gab mir soeben einen Whisky aus.


As a bulwark against despair the biennale as commons may seem an impossible idea. But we remember the ability of our species, our communities, to flourish artistically even in fraught and dire situations, with a refusal in the face of disillusionment to disavow our poetry, our languages, our art and music, our optimism and humour. To envision this biennale as a persistent yet unpredictable murmuration in the face of capriciousness and volatility comes from my unshakeable conviction in the power of storytelling as strategy, of the transgressive potency of ink, and transformative fire of satire and humour.
Shubigi Rao aus Singapur, Kuratorin der Kochi-Muziris Biennale
Famose Nachrichten aus der schwülen Unwirklichkeit da draußen! Danke dafür. Und wie schön, dass es so freundliche Wirte gibt.
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Streunen mit Roller fahrenden Ziegen. Toller Schnappschuss!
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die Bilder sind überall…wie Du selber erlebt haben wirst
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Dank zurück und Gruß an unsern alten Bekannten Abschaffel
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Danke für den Bericht. So etwas lese ich gerade sehr gerne.
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Danke umgekehrt fürs Lesen
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Deine Prioritäten gefallen mir: Einen Kaffee mitten im Leben statt Sinnieren auf der Friedhofsbank. Und dann mit einem Sundowner im Kopf den Bericht Fürsorge Lieben daheim tippen. So entstehen unvergessliche Bilder. 😉
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Jewish Disneyland gibt’s an vielen Orten, wo früher lebendiges jüdisches Leben war und heute – aus unterschiedlichen Gründen – ein Vakuum vorzufinden ist.
Empfehle bei Interesse dazu folgenden Artikel aus einem europäisch-jüdischem Magazin:
Jewish Disneyland – die Aneignung und Enteignung des „Jüdischen“
https://www.hagalil.com/golem/diaspora/disneyland-d.htm
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Danke! Wie interessant, les ich mal
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