
Ein fast schmerzhaft blendendes Licht liegt wie Spiegelscherben in den Gassen. Der silberne Himmel scheint von keinem Horizont begrenzt, alles darunter hat nur ein Ziel, ein Zentrum, einen Existenzgrund. Rameswaram ist eine wuselige Kleinstadt (mit etwa 50000 Einwohnern) um eine Tempelanlage aus dem 12. Jh., und nach Varanisi eines der zweitwichtigesten Wallfahrtsziele für hinduistische Pilger. Eine Festungsmauer mit vier riesigen Türmen und Toren zu allen vier Himmelsrichtungen bilden ein Quadrat, im äusseren Ring ein Wandelgang mit steinerenen Säulen und Lotosblumenmandalas an der hohen Decke, zu einer Seite der quadratische Hauptteich mit Treppen ringsherum, ein paar knorrige Bäume stoisch zwischen verfallendem Mauerwerk, Schreine in Nischen, glänzende Goldkuppeln, grelle Dämonen mit Klauen und gefletschten Zähnen, bunte Fabeltiere, Tänzerinnen, kämpfende Halbgötter und Titanen, labyrinthische Wege, versteckte Altäre, immer wieder Brunnen, genau genommen 22, aus denen die Pilger sich von Priestern in ritueller Abfolge mit Blecheimern übergiessen lassen. Ein uniformierter Wärter am Südtor winkt mich gelangweilt durch, niemand schert sich um meinen Beutel, in dem meine Sandalen sind, um mein Handy, um mich, unbehelligt streife ich durch die ausgedehnte Ablage, die Säulengänge sind leer, der Boden noch nass vom Sauberspritzen, nachlässig offengelassene Schranken zu (für Ungläubige) tabuisierten Schreinen, ducke mich in gekachelten Käfigen für die von Russ und Jahrhunderten geschwärzten Götzenfiguren, knipse einen der düstersten Altäre, lösche das Foto gleich wieder, Lakshmi behängt mit Blumengirlanden, Opfergaben auf dem Boden, Undefierbares im Zwielicht funzeliger Öllämpchen, beim Hinausgehen am Osttor werde ich verscheucht, erst da dämmert mir, dass ich zur nachmittäglichen Schliesszeit im Ramanathaswamy Tempel war. Aber das Allerheiligste kommt ja noch! Vier hohe rotweiße Tore rahmen den Blick aufs Meer. Das Bad am Saum des indischen Ozeans, der hier sanft und ziemlich dreckig ans Ufer plätschert, ist für die Tausenden Pilger der obligatorische Auftakt für das Reinigungsritual in den folgenden 22 Brunnen. Zwischen Kühen und Strandgut waten Frauen im Sari und halbnackte Männer zögerlich ins lauwarme Wasser, spritzen sich nass, zerren schreiende Kinder mit, halten sich die Nase zu und tauchen kurz kopfunter, kreischen und posieren klatschnass für Erinnerungsfotos. Den Rest des Tages sitz ich bei den Kühen im Sand und schaue zu.



Deine so bildhaften Texte sind schlichtweg fabelhaft. Inzwischen bin ich in meiner Phantasie täglich mit dir spazieren gegangen, wenn ich hier im Wendland, am Ende der Welt, zwischen Wölfen und Kühen meine Runden um den Stresower See drehe. Pass auf Dich auf
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irgendwie bist Du auch hier dabei, ohne Wölfe, dafür viele nette Ziegen, die Kokosnuss aus der Hand knabbern
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Ich mag Kokosnuss knabbernde Ziegen!! Du machst eine unglaubliche Reise! Wunderbar
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Was macht denn die Frau auf deinem Foto so überirdisch beseelt? Gibts das zukaufen?
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Vielleicht dass sie die 22 erfrischenden Wassergüsse mit den Blecheimern hinter sich hat?
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Danke für die Berichte und die Fotos. Ich träume mich auf eine Reise, die ich vermutlich nie machen werde.
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Danke! Vielleicht doch machen? Ich bin alt und nicht fit und hatte auch vor allem Angst.
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Nein, Angst oder Sorge wegen mangelnder Fitness ist es nicht, es gibt andere Gründe.
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klar, das galt ja auch nur für mich, jeder hat wohl seine eigenen Gründe.
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