Schatten zu vermieten

Wo die Seeadler kreisen und Rudel wilder Hunde herumstreunen sind die Fischer mit ihrer mageren Beute vom Meer zurückgekehrt. Handgroß nur sind die Fische und klein die Garnelen in ihren Netzen. Sie fahren zu sechst oder mehr mit hölzeren Booten und Außenbordmotoren hinaus, drahtige junge Männer stürzen sich allein mit Netzbündel und einem Paddel auf matratzengroßen Flößen aus Styropor, das in schwarzem Plastikplanen eingenäht ist, durch die Brandungsflut ins Weite. Die Wellen sind kräftig und tückisch, das schäumende Wasser lauwarm. Ein mannsgroßer Delphin liegt gestrandet im weißen Sand, ein Dutzend Polizisten sperrt den Fundort mit einem gelben Band mit „Crime Scene“-Aufdruck ab, einer schlitzt mit blitzendem Messer den Korpus auf, eine junge Frau macht Notizen und vestaut die Proben in einem Köfferchen. Am Wellenrand pesen handtellergroße, sandfarbene Krebse entlang, wenn ein Raubvogel seinen Schatten über sie zieht, verschwinden rasant sie in Löchern, um die der Sand wie um kleine Maulwurfshaufen aufgeworfen ist. Männer von den im Grünbewuchs verborgenen Häusern laufen in gerader Linie über den blanken Sandstrand zum Meersaum, heben den Dhoti an und kacken. Ein weißes Kreuz am Rand zum Sand verweist auf eine dorfähnliche Ansammlung von Hütten, eine Stichstraße, zum seltenen Glück steht ein Teewalla dort. Ein paar Kilometer nördlich, leicht mit dem lokalen Bus zu erreichen, (wenn es einem jemand sagt und zeigt), steht eine richtige Budenzeile mit Tischen und Stühlen, Speisekarten und Service. Marari Beach ist ein Touristentraum, die Einheimischen stellen das Personal, städtische Putzkolonnen sammeln täglich den Müll auf, Frauen vermieten Sonnenschirme mit Liege oder verwittertem Plastikstuhl. Schatten für 100 Rupien die Stunde. An der Strandbar dahinter gibts den schattigen Sitzplatz bei einem kalten Glas frisch gepresstes Limonen-Soda schon für die Hälfte. Lemonsoda mit Salz statt Zucker ist mein aktuelles Lebenselixier an der Bude, wo ich seit Tagen Milchtee und Samosa frühstücke und selbstverständlich immer einen der drei Stühle angeboten bekomme. Neben Sitzen und Schattensuchen sind Essen und Trinken meine Hauptbeschäftigungen hier. Das Eigentliche, die Essenz, das Existentielle, alles ist Körper. Was gibt es wo und wann und wie heißt was überhaupt? Eine Teebude am Wegesrand lasse ich niemals aus. Antony, der sein Homestay vom letzten Jahr zugemacht mir aber eine andere gute Unterkunft mit Balkon auf die Backwaters besorgt hat, betreibt sein Paradise Cafe am Kanal, dort macht Jo den stärksten Kaffee cortado, ohne den ein Tag schlechter begänne. Direkt gegenüber ist die Refill-Station, an der man an einem Hahn seine Behälter mit Trinkwasser auffüllen kann, das Geld, 1 Rupie pro Liter, wirft man, so vorhanden, in eine blauen Eimer, der da hängt. Über die Kanalbrücke für Fußgänger hinüber am Fähranleger kauert der alte Mann unter einem Regenschirm an seiner Karre. Dort röstet er Erdnüsse und verkauft die handvoll in Dreieckstütchen aus Zeitungspapier, 10 Rupien, meine obligatorische Notration, ebenso kleine Bananen und grüne Trauben. Bei Einbruch der Dämmerung, wenn die Krähen und die Kormorane ihre Schlafbäume beziehen, eröffnen die Strassenküchen gegenüber vom Busbahnhof ihre Verschläge. Bläuliche Gasflaschenflammen heizen die Platten, auf denen Dosa und Omletts mit kleingehackten Zwiebeln frisch gebacken werden. In zischenden Dampfkochtöpfen gart scharfer Fleischchurryeintopf, daneben brutzeln Parotha, in Kokosöl gerollte und plattgehauene Teigfladen. Zu allem eine Schöpfkelle Currysauce und ein Löffel chillirotes Linsenchutney. Und bisher keine einzige Cola.

Die Fähre durch die Backwaters nach Kottayam braucht knapp drei Stunden, gemächlich mit vielen Anlegestopps tuckert der verwittert hellbaue Kutter duch eine Landschaft aus gespiegeltem Silber, Himmel und Einsamkeit, Kokospalmen und hellgrüne Reisfelder säumen die Ufer, fleischige Wasserlilien wuchern auf den Kanälen, schwarze Kormorane, weiße und anthrazitfarbene Fischreier, die etwas gedrungeneren sandfarben Teichreiher, manchmal ein saphirgrüner huhnähnlicher Vogel, sie schaukeln und räkeln sich auf Inseln aus Treibholz und grünem Wassermoos. In Kottayam schlägt mich eine feuchte Mittagshitze in den Schatten der erstbesten Teebude, wo der Besitzer auch gewürzte Gemüse-Kicherbsen-Küchlein in Fett ausbäckt, von da flüchte ich direkt unter die Ventilatoren eines Hotels, wie hier jene großen, oft weißgekachelten Restaurants genannt werden. Dort komme ich in den Genuss eines „meals“, ein Haufen Reis mit verschiedenen vegetarischen Chutneys und Curry, denn das gibt es immer nur zur Mittagszeit. In einem Metallbecher wird heißes rosafarbenes wasser dazu ausgeschenkt. Mit neuem Mut trotze ich der brutal sengenden Sonne den kurzen Weg an einer Reihe verstaubter Lastwagen entlang zu den Markthallen ab, für die Großhändler ist der Geschäftstag schon fast vorbei, freundlich gelassen stellen sich die meisten für meine Telefonkamera in Positur. Sie sehen wunderschön aus.

(viel fotos auf insta unter docbotsch)

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3 Antworten zu Schatten zu vermieten

  1. Haustein schreibt:

    Atemberaubend!

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  2. Harald Jähner schreibt:

    Wunderbar. Danke für diesen intensiven Einblick. Ich schwitze richtig.

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  3. wildgans schreibt:

    ganz schön wildwüstchaotisch…

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