Ende der Welt

Danushkodi wurde 1964 von einem Zyklon zerstört

An der Straßenecke spuckt einer in hohem Bogen aus. Ein Kalb knabbert an mir herum. Der Tee ist kaum getrunken, da zeigt der Spucki auf den heranfahrenden städtischen Bus nach Dhanishkodi. Dort ist das Ende der Welt. Ein Zyklon hat 1964 dort den kleinen Ort mit 2000 Bewohnern samt Bahnhof und Kirche ins Meer gefegt. Seither ist Dhanushkodi eine Geisterstadt, nur ein paar Fischer in Strohhütten leben noch dort, ohne Strom und Wasser, ein paar DinA3 große Solarzellen für ein Radio, Telefonladestationen. In Ölfässern fachen Frauen Feuer an, auf denen sie Fische für die Ausflügler grillen, denn Geisterstädte sind attraktiv für Touristen an, deshalb erklärte die Regierung die Landzunge zum Nationalpark und ließ die Straße bis zum Endpunkt aphaltieren. Den Wendekreis markiert eine Säule, neben den parkenden Bussen hocken Verkäuferinnen mit Muscheln und garantiert echten Perlketten für 100 Rupien, unter windzerzausten Sonnenschirmen duftet es nach frisch aufgeschnittener Ananas und grünen Mangos in Chili, ansonsten ringsum Nichts in grell weißem Licht, ein paar Büschel Dünengras auf flachen Sandstreifen zur einen Seite, schwarze Steinblöcke zur anderen, hier treffen der indische und der bengalische Ozean aufeinander, 24 km weiter hinter dem im Flirren aufgelösten Horizont beginnt Sri Lanka. Auf der ebenso nicht sichtbaren Adams Bridge, ein paar Felsbrocken im Meer, soll die Affenarmee Hanumans hinüber gesprungen sein, um die entführte Gattin Ramas zurückzuholen. Ein eher symbolischer Plastik-Checkpoint am Beginn der schmalen Landzunge zeugt vom guten Plan, dahinter stakt ein Pfau durchs kurz unvermüllte Gehölz, ein paar wilde Pferde grasen in flachen Wasserprielen, Rabenkrähen auf der Kirchenruine, der Schrein für einen blauer Ganesha halb im Treibsand versunken, Seeadler kreisen über Fischerbooten am Strand. Die Wellen beider Ozeane sind müde.

Für den Lift zurück renne ich mit einem Dutzend Anderen dem schon gestopft vollen Bus hinterher, wir drücken uns alle hinein, als letzte darf ich in der Tür hängend den kühlenden Fahrtwind kosten. Der Schaffner gibt mir ein Ladiesticket für umsonst. Die Geländerpoller der Uferpromenade in Rameswaram bröckeln in Eiscremfarben, am Strand ein räudiger schwarzer Altar zwischen angeschwemmten Lumpen, sind die Götzen hier schwarz, weil die Südinder alle so schwarz sind? Ein orangegewandeter Mönch sagt, er beobachte mich seit drei Tagen, weil auch er allein herumspaziere, und für dem Fall, dass ich mal Hilfe bräuchte, sollten wir Nummern tauschen. Fehler, denk ich noch, der erste Anruf des besorgten Mönchleins kommt kurz vor Mitternacht. Nimm Dein Essen wie Medizin, sonst brauchst du Medizin wie Essen, gibt er mir erst mal als Leitsatz mit, ich verabschiede mich dankend und stelle mich der täglichen Herausforderung, öfters zu essen. An einem türkisfarbenen Handkarren serviert ein junger Mann mit Duschhaube knusprig zerstoßene Samosas mit Zwiebeln, Möhrenraspeln und heißem Kichererbsencurry auf einem Tellerchen mit Bananenblatt. Hi Grandma, grüßt er mich, und wie im morphogenetischen Feldersystem werd ich von da an den entlegendsten Orten mit Hi Granny empfangen. Als solche krieg ich dann auch immer einen Hocker angeboten. So geht die vita contemplative gleich nochmal so gut.

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23 Antworten zu Ende der Welt

  1. wildgans schreibt:

    Nimm dir eins der wilden Pferde und reite weit weg von den spuckenden…
    Tolle Berichte!

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  2. geschichtenundmeer schreibt:

    Das Älterwerden hat auch Vorteile, scheint es.

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  3. Haustein schreibt:

    Es gibt viele Geschichten und Legenden über Geister und übernatürliche Ereignisse in Dhanushkodi. Einige glauben, dass die Geister derjenigen, die im Tsunami von 1964 gestorben sind, immer noch in der Stadt herumwandern.

    Es gibt glaubwürdige Berichte von seltsamen Geräuschen und Aktivitäten in der Nacht, insbesondere in der Nähe der alten Kirche. Einige Besucher haben behauptet, dass sie Stimmen gehört oder geisterhafte Gestalten gesehen haben.

    Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen Beweise für Geister in Dhanushkodi. Es ist auch wichtig zu beachten, dass es möglicherweise gefährlich sein kann, nachts in Dhanushkodi herumzulaufen, da die Stadt verlassen ist und es keine Straßenbeleuchtung gibt. Grannys sind sicher! Immer – Sie sind frei und von nichts und niemand abhängig

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    • docvogel schreibt:

      Der Wind, der Wind, das himmlische Kind? Ich möcht da jedenfalls nachts nicht mal als Grannygeist herumgeistern.

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      • Haustein schreibt:

        „Der Wind das himmlische Kind“ ist ein bekanntes indisches Lied, das von dem Dichter Harivansh Rai Bachchan geschrieben wurde. Es beschreibt die Kraft des Windes und seine Auswirkungen auf die Natur und das menschliche Leben. Also es ist nicht nur bei Hänsel und Gretel anzutreffen, sondern scheint über verschiedene Kulturen verbreitet

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  4. docvogel schreibt:

    ah Volltreffer, sehr schön! der Wind jedenfalls pfeift ganz schön heftig um die Kirchenruine von Dhanishkodi und bis auf ein paar wenige übrige Steinwandreste im Treibsand gibts da nicht viel mehr an Stadt

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  5. docvogel schreibt:

    fille fou amant le vent…

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  6. Haustein schreibt:

    Hab den dichter jetzt noch einmal schnell gegoogelt: Harivansh Rai Bachchan (1907-2003) war ein bekannter indischer Dichter und Schriftsteller, der vor allem für seine Gedichte in der Hindi-Sprache bekannt ist. Er wurde in Allahabad, Indien, geboren und studierte an der Universität von Allahabad, wo er seinen Doktortitel in Hindi-Literatur erwarb.

    Bachchans Poesie ist bekannt für seine Reflexionen über das Leben, den Tod und die menschliche Natur. Er hat zahlreiche Gedichtsammlungen veröffentlicht, darunter „Madhushala“, „Agnipath“ und „Harivanshrai Bachchan Sreshth Kavita“.

    Vielleicht solltest du ein paar Gedichte von ihm am Abend rezitieren, laut über das Meer rufen

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    • docvogel schreibt:

      sehr guter Vorschlag! am besten auf Hindi? hab natuerlich auch gegooglt, fand aber kein match mit Wind und himmlisches Kind, dafuer zeigt google mir hier viel in seltsamen zeichen an, die ich nicht lesen kann

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      • Haustein schreibt:

        Das sieht sehr schön aus. Ich habe nicht gegoogelt sondern die moderne Variante vonChatGPT genutzt! Vielleicht haben sie mich angelogen mit dem himmlischen Kind, werde dran bleiben auf jeden Fall eine schöne Metapher

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  7. docvogel schreibt:

    जीवन so was

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    • Haustein schreibt:

      Das heißt Jeevan = Leben
      मैं आपको शुभरात्रि कहता हूं = ich wünsche Dir eine gute nacht
      Oh Mannoman und ich dachte Chinesisch sei schwer

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  8. Irène in Indien schreibt:

    Wir sind mit einem Jeep ganz hinausgefahren. Dhanushkodi hat mir sehr gefallen. Ich habe damals auch einen Artikel darüber geschrieben. Wenn du Interesse hast: https://meinlebeninindiendotblog.wordpress.com/2018/06/28/danushkodi-am-ende-des-bogens/

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  9. sinnlosreisen schreibt:

    Das sind ja tolle Sachen, die du da erlebst. Was sagt dein Magen-Darm dazu? Wir waren in Indien nicht ganz so mutig wie du, hatten aber auch keine Probleme. Aber viele andere brechen ja zusammen, wenn sie zum ersten Mal der Bakterienwelt des indischen Essens begegnen…

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    • docvogel schreibt:

      mein Pferdemagen hats gern scharf, eine Nacht kotz&co muss sein, gegen Balterien anfangs viel Pepsi, trinke auch das normales Wasser, in den Bergen tagelang vom Hahn..,nur die vor meinen Augen am Tempel im Dieselsmog frisch gemolkenen Kuhmilch gerade hab ich gescheut, die doch lieber gekocht…ansonsten lauf ich weiter mit vor Staunen offenem Mund herum

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  10. dagehtwas schreibt:

    wunderbar geschrieben!

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