
Ein Bad, eine frische Jogginghose, eine Kanne vom guten Pu-erh. Yunnan Chitsu PinhgCha, ein Teekuchen wie ein gepresster Kuhfladen, mitgebracht aus den Bergen des Goldenen Dreiecks, denk nicht mal dran. Mein Fenster zur Welt sendet mir jetzt Werbung für Freizeitkleidung. Sie kennen mich dort. Wanderschuhe out, abgelöst durch Kombis aus Schlabberhose mit oversize Pulli, Farben, die auch schlaftrunkenen Augen nicht weh tun. Gefällt mir. Zuviel schlafen fördert depressive Verstimmung, heißt es. Mit deren Zunahme nimmt die Motivation ab, dagegen oder sonst irgendetwas zu unternehmen. Der Vorteil kürzerer Tage sind weniger Stunden schlechter Laune, wobei das Trübsal sich Wochen oder Jahre verlängert. Der Alte im Rollstuhl, der immer wieder laut „Lotte!“ ruft, sie hört ihn nicht, findet der seinen Trainingsanzug eigentlich gemütlich, egal oder peinlich? Die marineblaue Uniform mit weißen Längsstreifen und Strickbündchen ist aus der Mode aber noch fast wie neu, nie wurde er für sportliche Selbstoptimierung missbraucht. Die Frauen an den Tischen um ihn herum sind besser gekleidet, sie achten noch auf ihr Aussehen, selbst wenn sie sich nicht mehr erkennen, sie beteiligen sie sich am Gesellschaftsspiel, solange sie sich noch wehren können gegen die Nachlässigkeit. Wir werden alle in schicken bequemen Billig-Hausanzügen herumschlurfen. Die Zusammensetzung des seidig fallenden zugleich kuscheligen Materials oder ihr Produktionsort sind in der Reklame nicht angegeben, weder Myanmar noch Millionen Jahre garantiert unverottbares Mikroplastik.
Apropos, schon das zweite Tibetbuch im Dezember gelesen. Beides Männerexpeditionen mit Todesfall, Kartographen beim Versuch, den letzten weißen Fleck des Unbekannten zu tilgen, zu bezeichnen, nur Männer, Draufgänger, Touristen, machen so was Bescheuertes wie dermaßen menschenfeindliche Eiswüsten und Berggipfel hochzuklettern, auf denen sie nichts verloren haben. Egal, ich steh auf Abenteuerromane. Entdecker, Eroberer, Stürmer, an der Erleuchtung scheiternde Westler, die bestenfalls verloren gehen. Immer wieder gut dagegen: Nan Shepherds kurzes Buch „Der lebende Berg“. Nun also Christoph Ransmayrs „Der fliegende Berg“, in fünf Nächten damit durch, 350 Seiten – Flattersatz! Berserkergesänge, Eispickelprosa, Schneekristalle, Schönheit, Sturm. Zwei Brüder, der Vater, Irland, Tibet, Kampf, Krieg, Überwältigung. Wetter, Naturgewalt, Liebe in der Jurte, Yaks, Metis, Tod, drunter geht hier nichts. Der Dichter aber kommt zurück, muss ja ein Buch schreiben. Seiner Geliebten vom Nomadenclan bringt er Lesen und Schreiben bei, damit sie seinen Namen buchstabieren kann. Die Pilger meißeln ihre Gebete in Steine oder bedrucken das Wasser eines Baches mit geschnitzten Holzstempeln, damit die Worte wie in den unentwegten Gebetsmühlen ewig murmeln, nie verhallen. Loaden, I presume. Glimpflicher, wenngleich mit ebenfalls existentialistischer Intention begonnen, ergeht es Matthias Politiycki auf seiner Bergbesteigung im gefährlichen Afrika. Auf dem Kilimandscharo ist es nur eine Nacht im Krater saukalt, ansonsten sind die einheimischen Träger auch hier zuverlässig und nett. Weniger der Berg ist dem Hamburger Brillenträgerwürschtel eine Herausforderung als der Tscharli. Der spillerige Maulheld aus Bayern ist nämlich schon da und macht jeden Anflug von Erhabenheit zunichte. Ois easy! Er nervt überhaupt aufs lustigste mit sexistisch rassistischen Kalauern, angeberischem Gaga-Suaheli und natürlich hat der angeknackste Bauingenieur das Herz auf dem rechten Fleck. Wakala! Eine Männerfreundschaft fürs Leben, aber ach, zerbrechlich ist’s auch hier. Noch heiterer, dabei auch um nichts weniger als um die vorletzte Weisheit, geht es beim süffisanten Macho Helge Timmerberg zu. Sein Ausflug führt den Langstreckenreisenden nach Kathmandu, wo er einen Yogi wiederfinden will, der ihm sein Mantra gegen die Angst entziffern soll. Er steigt ein paar Treppen des Tempels hinauf und hinab, bis seine Mission erledigt, der Zauber durchschaut und neu übersetzt ist. Ansonsten steht er viel mit dem Taxi im Smog und fragt sich, wie er sein Billigticket umgebucht kriegt. Shiva ist der Gott der Zerstörung und kommt aus jedem Auspuff. Das Mantra des glückliche Reisens findet er wie immer nebenbei: „Da sein und auf die Straße schauen“.

Christoph Ransmayr: Der fliegende Berg, S. Fischer 2006
Matthias Politycki: Das kann uns keiner nehmen. Hoffmann und Campe 2020
Helge Timmerberg: Das Mantra gegen die Angst oder Ready for Everything. Piper Malik, 2019
Ach meine Liebe. Fröhliche Weihnachten!! In Adidas Jogging Hosen rotweiss
Gefällt mirGefällt 1 Person
Frohe Weihnachten auch von mir.
Helge Timmerberg mag ich, seit ich vor vielen Jahren einen seiner Texte gelesen habe, in dem er den Flamenco und die Flamenco-Menschen mit durchaus liebevollem Blick betrachtet. Ob der Text fachlich richtig war, weiß ich nicht mehr; damals stand ich selbst noch sehr am Anfang.
Gefällt mirGefällt mir
ich les quasi alles von ihm mit großem Vergnügen, er liebt die Menschen, sachliche Richtigkeit steht bei ihm (glaub ich) hinter erfinderischer Wahrheit. Gute stille Tage wünsche ich.
Gefällt mirGefällt 1 Person
Ein Buchtipp für die Esoterikerin in Dir: Der Weg der weißen Wolken. Geschrieben von Lama Anagarika Govinda. Auch eine Tibet-Expedition. Wenn ich’s richtig verstehe, eine Dokumentation seiner jahrelangen Reise durch dieses geheimnisvolle Land.
Gefällt mirGefällt 1 Person
Danke! Tibet ist so ein unerreichbares Sehnsuchtsland, von dem ich gern zuhause bei heißem Tee lese…hab auch eine gute Weihnachtszeit! lg
Gefällt mirGefällt mir
Schöne Grüße und Gutzeitwünsche!
Sonja
Gefällt mirGefällt mir
Danke! Und allerbeste Grüße zurück!!! sabine
Gefällt mirGefällt mir