Dann halt Minzlikör

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Markus möchte Minzlikör. So blöd sich das anhört. M. ist ein relativer junger, verwahrloster und oder verwirrter Mann mit blonden Locken, er sitzt seit Wochen am Parkplatzrand vor Lidl. Anfangs hing hinter ihm am Schaufenster der geschlossenen Apotheke – es sind inzwischen alle Geschäfte da zu – ein handgeschriebenes Plakat. Darauf stand etwas gegen Vertreibung. Manchmal schläft er, unter einem schmuddeligen Haufen Decken und Schlafsack vergraben, um ihn halbleere Glasflaschen (Minzlikör), Essenreste, Zigarettenschachteln, Müll. Nachts geht er wo anders hin. Ich brauche Tabak. Don’t ask. Um das Nötige mit dem Angenehmen zu verbinden, frage ich ihn, ob er Tabak gebrauchen könnte, er möchte, dass ich ihm eine Flasche Minzlikör kaufe, will mir sogar das Geld dafür geben. Er will keine Hilfe, Notübernachtung schon gar nicht. Der Minzlikör (3,79) ist smaragd- um nicht zu sagen giftgrün, bloß 18 %. Wahrscheinlich gut Zucker, M. mag den und so kriegt er den. Und Tabak. Ich einen neuen Rucksack für die Reise. Und eine dieser superleichten neuen Jacke kauf ich auch noch. (Lustig in Henning Sußebachs feinen Buch über seine Wanderung durchs deutsche Hinterland, wie er für 1000 Euro Funktionskleidung kauft und nach ein paar Tagen höllische Blasen hat, seine Freundin bestellt, die ihm mit dem Auto an eine Wegkreuzung seine alten Botten bringt.) Zuvor  in der Bibliothek den neuen Ondaatje („Kriegslicht“) geliehen, von dem ich bisher alles gelesen hab, und Seethaler, von dem hab ich noch nie was gelesen. Genug für einen Tag. Doch der Himmel ist so leer, es ist fast 10 Grad warm, das Frankfurter Tor blinkt gegen das Februargrau in aller Verkehrsknotenhaftigkeit an, in der U-Bahn sind drei gelb-grau uniformierte BVGler im Wagen, als ich am Alex nach dem richtigen Ausgang Ausschau halte, fragt mich einer von ihnen, ob ich Hilfe bräuchte. Werd ich schon auffällig? Die Langsamkeit schon verdächtig? 

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6 Antworten zu Dann halt Minzlikör

  1. hajoschneider schreibt:

    Moderne Zeiten: Bei mir auf dem Handy wird direkt unter Deinem letzten Satz: Die Langsamkeit schon verdächtig? Werbung eingespielt, ganz in Magenta: Happy Highspeed!

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  2. Anhora schreibt:

    Ich mag Ondaatje auch. Minzlikör mag ich nicht, aber diesen Beitrag wiederum mag ich. 🙂

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    • docvogel schreibt:

      Danke! Minzlikör ist bestimmt grässlich.. Heute sollte er zumindest nicht frieren.

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      • Anhora schreibt:

        Wenn ich in der Nähe wohnen würde, würde ich Markus die nächste Flasche Minzlikör ausgeben. Und eine Tafel Schokolade.
        Bei uns gibts derzeit nur einen sichtbaren Obdachlosen. Der freut sich immer über etwas Geld. Von Minzlikör o.ä. hat er noch nie was gesagt. 😉

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  3. docvogel schreibt:

    Schokolade, auch Flaschenwasser, Obstsaft, Bananen kommen meist gut an, ein bisschen Geld sowieso und ein paar freundliche Worte. Oft krieg ich ein Danke und ein Lächeln
    allein fürs Ansprechen und Anteilnehmen. Und das tut mir selber auch gut,

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