Betreute Räumung

Amaretto

Ich habe den Hubschrauber gehört in der Nacht, Sirenen keine. Tags drauf ist die Bucht geräumt. Die Bewohner sind schon vertrieben, teils „umgesiedelt“, ihre Zelte und Hütten zerstört. Ein gelber Bagger zermalmt hinten schon die ersten Behausungen zu Müll, ein Sofa zerbröselt wie Knäckebrot. Eine Kette fescher Polizisten bewacht die Zugänge zum eingezäunten Camp, gepolsterte schwarze Uniformen, schwarze oder weiße Masken, wie wir, die Demonstranten und Passanten, wir sehen alle gleich aus, müde Krieger im festem Schuhwerk. Die Räumung des Camps sei ein geordneter Abzug gewesen, begleitet von THW und einer stadtbekannten NGO. Rollkommando mit Sozialbetreuung. Wieso bei Nacht und Nebel? Woher plötzlich die Sorge um das leibliche Wohl der ca. 100 Zelt- und Hüttenbewohner, welche die Lokal-Politiker jetzt zum Handeln bewegt, 8 Grad minus? Die Hälfte, 47 der Bewohner, berichtet der auskunftswillige Polizist, sei freiwillig in die Traglufthalle umgezogen sein, die nächsten kämen in das Hostel in der Boxhagener, oder die aus der Halle ziehen dorthin. Widersprüchliche Infos, Gerüchte, Geheimagenten verhandeln noch, Vollverpflegung bis April. Vor den bodentiefen Scheiben der noch geschlossenen Rezeption des Hostels sammelt sich seit Stunden eine Schlange von Männern, da gäbs Unterkunft heute Nacht, haben sie gehört, 100 Plätze.

Bis zum späten Vormittag, dann bis kommenden Freitag hätten die Geräumten Zeit, ihr Zeugs rauszuholen. Am Nachmittag geschäftiges Ein- und Ausgehen, Kisten, Koffer, überladene Einkaufswagen werden durch den vereisten Matsch bugsiert. Ein Rastafari bringt ein abgenutztes Skateboard aus Holz und einen Musikkoffer in Sicherheit. Wer hat das geträumt? Einer der Polizisten mit weißer Maske fragt, ob ich auch noch mal rein und was holen wolle. Vor Schreck verpatze ich meine Chance. An den Zäunen und Sträuchern zur Uferpromenade hin hängen 1000 Origami-Kraniche. Knirsch, krächz macht der Bagger.

Kamine, Fenster, Türen. Töpfe.

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10 Antworten zu Betreute Räumung

  1. Olpo Olponator schreibt:

    Wird in D nicht häufig im Winter geräumtholfen ? Wer ordnet sowas an, die Stadtverwaltung ? Ist nicht jede Großstadt ein bißchen Singapur ? Was kommt jetzt in die ‚Bucht‘ (die ich nicht kenne), ein Park ? ein Haus ? ein Parkhaus ? ein Planungsbüro ? Oder war es die Hygiene, die Sorgen bereitete ? Was wird kolportiert.
    Chance verpaßt, aus Schreck – immerhin ein bißchen was zum Lachen dabei.

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    • docvogel schreibt:

      angeordnet hat es der Bezirk, der das jetzt perfiderweise als Humanmaßnahme verkauft. Da soll die übliche Kapitalscheiße hin, teure Wohnungen und ein sinnloses Aquarium, das zahlende Touristen anlocken soll.

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      • Lydia Haustein schreibt:

        Aber das war doch vollkommen klar und ist nicht überraschend. Survival of the fittest.

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      • docvogel schreibt:

        es wird noch ein wenig abgedrehter: die Sozialsenatorin (Linke), in deren Ressort am. Samstah mal flugs ein Hostel mit 100 Betten requiriert wurde, sagt, das Plattmachen der Hütten war nicht abgemacht und sei illegale Zerstörung von Eigentum (der Behauser).

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  2. kormoranflug schreibt:

    Heute werden bei Minus 10 Grad bestimmt die Bewohner der „Schrottboote betreut. Lebensmittel und warme Decken werden vom Hubschrauber abgeworfen.-

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  3. docvogel schreibt:

    oha, und wer füttert die Kormorane auf Kratzbruch?

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  4. docvogel schreibt:

    ich versuche mich mal aufzuraffen zum nachsehen…

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  5. eimaeckel schreibt:

    Danke für deine Reportage. Ich weiß nicht, was ich von solchen Aktionen halten soll. Bei den jetzigen Temperaturen ist ein Camp nicht der richtige Ort für Menschen und ein Hostel der bessere Platz. Das das Hilfsangebot gleich mit dem Bagger kommt, lässt aber andere Beweggründe vermuten.

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  6. docvogel schreibt:

    das Gerangel um die Bucht geht ja schon jahrelang, die nun Vertriebenen sind natürlich sauer, aber wie die Leute unserer Sozialsenatorin das mit den Notunterkünften geregelt haben, find ich schon auch bewundernswert. Im Hostel können die Leute, die das wollen, jetzt bis April bleiben. Frage wäre, wie lange die Räumaktion im voraus geplant war und warum dann bei Nacht und Nebel.

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