Brennnesseln

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Nee, das wird jetzt kein Foodblog. Andrerseits: Zwei rote Zwiebeln und ein Schnitz Sellerieknolle kleingeschnipfelt in Kübriskernöl angeschmelzt, dazu einen fußballgroßen Beutel Brennnesselspitzen, möglichst frisch geerntet, ein paar Minuten gedämpft, bis die faserigen Stängel weich sind, Salz und Pfeffer dran und fertig. Als Deko drübergestreut etwas Scharbockskraut und wilder Schnittlauch. Eigentlich aber wollte ich einen Buchblog starten. Weil man ja im Kleinen das große Ganze finden kann, schien mir das hübsche neue Büchlein über Brennnesseln das richtige für mein unausgegorenes Vorhaben. Geschrieben hat es der gelehrte Kräutergärtner Ludwig Fischer, die Schriftstellerin Judith Schalanski hat es gewohnt bibliophil mit gezeichneten Abbildungen und farbigem Kopfschnitt gestaltet – die Naturkundenreihe des feinen Matthes &Seitz Verlags, so sagen Neider und Bewunderer, soll ein Erfolg sein. Weil Naturkunde im besten Fall immer Kulturgeschichte ist, kriegen wir in dem handlichen Bändchen über die wehrhaften Utricaceae ein adrettes und fadengeheftetes Sträußchen aus germanischen Legenden und römischen Mythen, Bauernregeln und Sprichwörtern, Ethymolgien, Bibelstellen, Gedichten und Poesiealbenprosa einschließlich literaturgeschichtlicher Irrtümer. Selbst Heiner Müller verwechselte das gar nicht so kratzige Nesselhemd mit dem verfluchten Nessushemd. Weil sie stickstoffhaltige Böden mag, da wo Misthaufen rotten, Männer hinpinkeln und Leichen verfaulen, sucht die wilde Brennnessel seit 30 000 Jahren die Nähe des Menschen, das nennt sich dann Kulturfolger. Die Frau wob feines Tuch aus ihr und wusste schon früh um so „mancherlei Heilkräfte“ des brennenden Krauts. Die fiesen Brennhärchen heizen arthritischen Gelenken ein, Hippokrates empfahl sie als Tee zur Blutreinigung, die Samen knuspere man gegen Lungenleiden, Hildegard von Bingen riet zu Schläfenabreibungen gegen die Vergesslichkeit, und in Frankreich wurde sogar 2002 bis 2011 der private Ansatz und Gebrauch des gärtnerischen Wundermittels Brennnesseljauche verboten. Leider fragt der Autor nicht warum. Der etwas gemütliche Märchenonkelstil sei dem emeritierten Literaturprofessor verziehen, seine Skepsis gegenüber den spannenden neuen Erkenntnissen und Forschungen zur Kommunikationsfähigkeit von Pflanzen (über Botenstoffe, Lichtimpulse, elektromagnetische Felder…) und ihre über traditionellen Aberglauben und Hexenwissen hinausgehenden medizinischen Wirkungen und mindesens mineralischen Kräfte, ist etwas schade. Und dass der 78-jährige Kräuterhobbyologe sich so neumodische Brennnessel-Smoothies mixt, das glauben wir jetzt echt nicht. Trotzdem, ein sehr lobenswerter Einstieg für Neubotaniker.

Ludwig Fischer: Brennnesseln. Ein Portrait. Naturkunden No. 32, Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017. 167 S., 18 Euro

 

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