Um neun Uhr früh holt uns Salome ab und bringt uns zu Medea. Also echt. In einem Land, in dem die Frauen solche Namen haben, muss man doch vergangenheitsirre werden. Dass die Hellenistin Medea auch noch aussieht wie eine griechische Göttin auf Highheels, und eine tolle Armada höchst qualifizierter, junger Amazonen in ihrem Organisationsteam hat, macht die sachliche Berichterstattung nicht gerade leichter. Medeas Tochter heißt übrigens Helena.
Der Grund für diesen georgischen Hang zur Mythologie ist einfach die Geschichte mit dem Goldenen Vlies. Das ist nichts mythologisch verschwurbeltes, sondern was ganz simpls un das kommt von dort. Auf der Suche nach dem sagenhaften Teil schipperte der Argonautenführer Jason nach einigen Umwegen übers Schwarze Meer und landete, wo sonst, in Georgien, das sich an dieser Ecke damals Kolchis nannte. Dort, das wusste schon der Grieche, gab es unermessliche Goldschätze. Die wurden nicht nur aus Minen in der Erde geborgen, sondern auch mit Schaffellen aus den Bergbächen gesiebt. Die Methode hört sich selbst schon ziemlich paradiesisch an. Man hängte die Felle über Nacht in die fließenden Gewässer, trocknete sie am kommenden Tag auf der Wiese und bürstete die Goldpartikel heraus.
„The Golden Fleece“, wie es auf den englischen Schautafeln im Nationalmuseum heißt, meint also schlicht so ein filziges Fell, in dem sich der Goldstaub verfangen hat. Vitrinen voll filigran gearbeiteter, kostbarer Geschmeide aus homerischen Zeiten sind im Nationalmuseum ausgestellt. Durch das führt uns am Nachmittag eine (natürlich weibliche) Archäologin, die so ansteckend begeistert ist von ihrer Sammlung, dass sie ab und zu verzückt die Augen schließt.
Ach ja, und im großzügig umgebauten Foyer des Museums grinst ein zottiges Pärchen von der Wand. In Georgien wurden auch noch die Knochen der ersten aufrechten Hominiden auf unserem Kontinent gefunden, 1,8 Millionen Jahre alt, nur wenig jünger als die äthiopische Lucy. Weil ein Schädel einen zahnlosen Unterkiefer hat, der „abgekaut“ ist, mutmaßt man, dass es sich hierbei um einen der ersten Beweise für Altenpflege handelt. Ein Mann versucht, uns einen Strauß Margariten zu verkaufen.
Doch zurück zu Medea, nicht jener seinerzeit in Jason verliebten Königstochter, sondern der gegenwärtigen, wegen der, beziehungsweise deren Aktivitäten wir schließlich in Georgien sind. Medea Metreveli ist die Leiterin des Nationalen Buch Centers, das dem Kultusministerium untersteht. Sie verantwortet das Projekt, Georgien im Jahr 2018 auf der Frankfurter Buchmesse als „Gastland“ zu präsentieren. Mit einer Energie, der wir trotz zugeflößtem Instantkaffee kaum folgen können, rattert sie Fakten, Zahlen, Namen, Erfolgsmeldungen, Ziele und Pläne herunter, springt auf, holt neue Bücher aus neuen Regalen, wedelt mit Broschüren und Flyern, in denen wir alles zu Autoren, Büchern, Übersetzungen, Symposien, und sonstigen Aktivitäten nachlesen können. (https://book.gov.ge)
Georgien hat 200 Verlage, sie produzieren 4000 Buchtitel pro Jahr, mit einer verkauften Auflage von 5000 hat man einen Bestseller, das Land gibt 18 Millionen Laris jährlich für Kultur aus, etwa zwei Prozent des Staatshaushalts. Die georgische Literatur speise sich aus „viel Verrücktheit, Wein und Talent“, nur ein bisschen ironischer, so Medea, dürfe sie noch werden.
„Wir sind Enthusiasten und uns fehlt immer Geld“ , legt Tako Tashvili nach. Dass die Direktorin des staatlichen Filmcenters ebenfalls jung, charmant, eloquent, schnell im Kopf und nebenbei unverschämt gut aussehend ist, versteht sich wohl von selbst.
Umgehauen von dermaßen viel Frauenpower, ist es fast eine Erholung, als wir danach in einem viel zu großen holzgetäfelten Versammlungsraum, der an ein muffiges Klassenzimmer erinnert, einer Riege überwiegend männlich zerknitterter Verleger gegenübersitzen. Bei einem, von unserer Seite etwas matten, Frage- und Antwortspiel bekommen wir immerhin eine Ahnung davon, dass „unabhängig“ in unterschiedlichem Kontext Unterschiedliches bedeuten kann.
Weil wir arg schwächeln, erlaubt uns Salome eine kurze Espressopause im Garten des Schriftstellerhauses. Eine Jugendstilvilla, in der sich einst, im Terrorjahr 1937 ein berühmter Dichter sich das Leben… die Geschichte lässt eien nicht los hier.