so stands am Donnerstag in der FR
[http://www.fr-online.de/literatur/mit-innerem-mummpitzometer,1472266,33957960.html]
und so in der Berliner Zeitung:
Mit innerem Mumpitzometer
Zu wenig Buchrezensionen? Zu wenig Literaturkritik? Ein Blick in die weite Welt der Literaturblogs
Nein, das wird hier keine kulturpessimistische Litanei über den Niedergang der Literaturkritik im Zeitalter der digitalen Transformation. Im Gegenteil: Um festzustellen, dass die klassische Literaturrezension weder qualitativ noch quantitativ am Verkümmern ist, genügt ein Blick ins Netz. Die Millionen Auftragsrezensionen bei Amazon lassen wir getrost beiseite, obwohl selbst da nicht nur Gefälligkeitsmist drin steht. In der Wildernis des World Wide Web haben sich inzwischen individuelle Formate entwickelt, auf denen der guten alten Buchrezension gehuldigt wird.
1 108 Buchblogs hat der Buchblogger und „Softwaregeek“ Tobias Zeising derzeit auf seiner Seite „Lesestunden.de“ gelistet, auf „bloggerei.de“ sind es 400, die Literaturagentin „SteglitzMind“ stellt unzählige bibliophile Blogs in Kurzinterviews vor, der „Kaffeehaussitzer“ empfiehlt ein paar Dutzend Lieblingsblogs von „aus.gelesen“ über „Buchguerilla“ und „Flatter Satz“ bis „Zeilensprünge“, und bei fast jedem Blog gelangt man über eine Leiste zu anderen Buchbloggern. Vernetzung und Austausch gehört zum Selbstverständnis.
Professionell im Sinn eines Berufs- und Erwerbsbegriffs ist fast keines der Blogs. Im Gegenteil, die Literaturblogs insistieren auf ihre kommerzielle Unabhängigkeit, auf der radikalen Subjektivität ihrer Buchauswahl und auf ihrem Recht zu Geschmacksurteilen. Die großen Verlage haben das Werbepotenzial der Literaturblogger erkannt, das zeigt ein Portal von Random House, auf dem sich Buchblogger anmelden können, um Rezensionsexemplare zu bestellen. Der Carlsen Verlag umwirbt Blogger als Multiplikatoren, besonders im Fantasy-Genre, und kürt den Blogger des Monats. Eine Ehrung besonderer Art erhielt Mr. Rail, der Betreiber von „AstroLibrium“: Der „Berufsoffizier im Sanitätsdienst“ wurde letztes Jahr zur Mitarbeit beim Blog der Leipziger Buchmesse eingeladen.
Worum geht’s, wie finde ich’s?
Was die Blogger auszeichnet, ist ihre Leidenschaft fürs Bücherlesen und ein ebenso passionierter Mitteilungsdrang. Ulrike Sokul etwa hat den Grünen Gürtel in Jiu Jutsu und den grünen Daumen beim Gärtnern, lebt in Solingen und möchte in ihrem Blog „vor allem Bücher loben und bejubeln“. Für Verrisse ist ihr und den meisten Freizeitrezensenten die Zeit zu schade. Und auf vergleichende Literaturwissenschaft hat auch keiner Lust. Formale Analysen von Stil und Aufbau oder Kanoneinordnungen gehören nicht zu den vorrangigen Kategorien. Worum geht’s, wie finde ich’s? Inhaltsangabe und der Freundinnenton genügen meist als Entscheidungshilfe für oder gegen ein Buch.
Eines der ganz wenigen Blogs, das sich finanziell trägt, ist Brain Pickings Weekly der 32-jährigen Maria Popova aus New York. Aus einer 2006 gestarteten wöchentlichen Mail an Freunde entwickelte sich der Einfrauenbetrieb – Kennzeichen fast aller Blogs – zu einem sonntäglichen Newsletter. Optisch erinnert er ein wenig an das Magazin des New Yorkers. Eine ausführliche, mit langen Zitaten durchsetzte Hauptrezension zu aktuellen oder alten Titeln und lebensweltlichen Themen (Liebe, Tod, Schlaflosigkeit, Kinder) wird ergänzt durch Randkolumnen und ein Archiv von A bis Z. Ein lustiges Gadget ist die literarische Jukebox mit swingenden Literaturzitaten. Seit 2012 ist Brain Pickings auf den Webseiten der Congress Library integriert.
Hausfrauenfeuilleton
Das Blog ist anzeigenfrei, um der über allem stehenden Unabhängigkeit willen. Allerdings läuft jede vom Blog aus getätigte Buchbestellung über Amazon, und von dort fällt dann ein Groschen an die Blogbetreiberin zurück.
Die Macherin selbst stellt sich mit einem gezeichneten Porträt vor. Überhaupt ist bei den Literaturbloggerinnen eine überproportionale Selfie-Foto-Verweigerung auszumachen: Karikaturen, Kinderfotos, Kopfausschnitte, was Abstraktes oder gleich gar kein Bild. Bei den männlichen Buchbloggern ist das anders. Die zeigen sich gerne als Eierkopf mit Brille, Bart auch.
Im Gegensatz zum Erfolgsmodell aus den USA kommen deutsche Literaturblogs optisch bescheidener daher. Sehr beliebt als „Header“, das fotografische Motto des Blogs, sind Fotos von ledergebundenen Buchrücken. Wie in einem gut sortierten Buchladen stehen etwa in Ulrike Sokuls Blog „Leselebenszeichen“ darunter die Knöpfe für Autoren A-Z und Titel A-Z. Im Seitenstreifen kann man durch Kategorien von „Abschweifung“ bis „Zwischen den Jahren“ scrollen. Im entspannten Leserrhythmus von ein bis zwei Wochen blogpostet sie kenntnisreich geschriebene Rezensionen zu Neuerscheinungen der Saison.
Dass sich das manchmal etwas buchhändlerisch liest, liegt daran, dass sie eine ist: „Sie wissen schon: Diese akut vom Aussterben bedrohte altmodische Berufsgattung, die mit großem Idealismus für kleines Geld arbeitet.“ Ihren „Leseeinladungen“ folgen derzeit 435 Personen, mit denen sie ein munteres Kommentarpingpong unterhält.
In der Rubrik „Buchbestechung“ dankt sie Verlagen für Besprechungsexemplare – mit Links zu ihrem Programm. Fischer, Rowohlt, Suhrkamp fehlen, was nicht heißt, dass von denen keine Bücher auftauchen. Die leiht sie sich in ihrer Lieblingsbuchhandlung (Link). Ganz unten erklärt sie , woher sie ihren Strom bezieht (Link). Im Dunkeln liest sich’s schlecht.
Buchhändlerin ist auch Petra Wiermann, die sich für ihren Sachbuchblog „elementares lesen“ seit Jahren durch neue Bücher und Themen von „Mikrokosmos bis Universum“ und „Urknall bis Universum“ pflügt. Bei ihr passiert es schon mal, dass ein Werk als „etwas oberflächlich“ abgekanzelt wird.
Aber wie gesagt, Kritik und akademische Analyse sind nicht das Hauptanliegen von Literaturblogs. Ihre Qualität ist Empathie und Authentizität. „Alles selbst gelesen“, schreibt Jarg und hat dafür in fünf Jahren 1 000 Follower eingesammelt. Unter Massenhaftigkeit („am Anfang mehrere am Tag“) leiden allerdings auch die Rezensionen des „Berufsverleihers“.
Freier, anarchischer und mit individuellem Sound spielt „Drittgedanke“ mit der klassischen Buchrezension. Bloggerin Sonja Grebe aus Hannover mischt ihre Buchbesprechungen mit Filmschnipseln, Fotos und besonders ans Herz gelegten Musikclips. Dazwischen stehen schräge Berichte über ihre Selbstversuche mit therapeutischen Youtube-Videos. Ihr Genremix ist neben dem klassischen Buchregal von A bis Z nach assoziativen Oberthemen und Roten Fäden sortiert. In denen stellen sich überraschende Kreuzungen aus Sinn, Bezügen und Verbindungen her.
Jede Menge Freiheit
„Drittgedankes“ inneres Mumpitzometer garantiert Skepsis, Urteilsschärfe und witzige Formulierungen. Und eine Runde Captain Beefheart hat noch keinem geschadet. Sporadisches WLAN dem Blogger dagegen schon. So steht da plötzlich ein Aufruf „an all jene, die gerade anderweitig nichts Dringenderes zu tun haben: Fallen euch spontan Titel ein, die ihr mir vorschlagen könntet? Nicht dass ihr nicht ohnehin jeden Tag Empfehlungen veröffentlichen würdet …“ Sogleich treffen tolle Buchtipps ein, und die Tippgeber tauschen sich untereinander über ihre Lieblingsbücher aus. Interaktion und Partizipation ist ja geradezu der Grund zum Bloggen. Nicht selten ist die lange Liste der Kommentardialoge am interessantesten.
Was das für Buchrezensionen bedeuten könnte, bringt die Autorin so auf den Punkt: „Das Blog-Wesen mag mitunter als ,Hausfrauenfeuilleton‘ beäugt werden, doch als Spielwiese für unprofessionalisiertes Schreiben bietet es eine Menge Freiheiten, um sich auf seine eigene Art mit dem, was einen beschäftigt hat, auseinanderzusetzen. Gerade wegen dieser Freiheiten hat es mit dem Feuilleton nicht sonderlich viel gemein – und das hat durchaus seine schönen Seiten. Vor allem beantwortet sich, indem Blogger ab und an auch etwas über sich und ihre Art zu lesen, ihre Hintergründe, ihre Bücherlisten mitteilen, ein Stück weit eine ganz interessante Frage, die in Großmedien meist nur als Randerscheinung auftaucht: Wer sind eigentlich die, die all jene schönen Bücher kaufen? Und lesen? Bei wem also kommen die Bücher an, und wie kommen sie an?“
Liebe Sabine,
danke für die ausführliche, charmante und prominente 😉 Darstellung meiner Leselebenszeichen.
Ich habe mich SEHR darüber gefreut!
Über die Referrererfassung konnte ich sehen, daß es zusätzliche Lesebesucher durch die Verlinkung gab.
Herzlich grüßt Dich
Ulrike von Leselebenszeichen
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ach das freut mich jetzt auch sehr! Bin ja quasi von (meinem Blog-) Anfang an eine Deiner Leserinnen, und freue mich immer über Deine Texte und Ideen!, allerschönste Ostern, soll ja schön eklig sein draußen, da liest’s sich gemütlicher, sabine
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