Schwindel

indergott stört kein schrott

Er liest Zeitung unter einem mönchsgelben Schirm, vor ihm sortierter Müll und Leerguthaufen, hinter ihm ein goldener Hindualtar für eine Gottheit, deren Namen ich nicht verstehe, die aber auch mir und alle, an die ich denke, sogar himmelweit oder über Flugzeugentfernungen hinweg, vor Unheil schützt. Sagt der obdachlose Anwohner des Heiligtums und dankt strahlend für die kleine Spende. In diesem Moment knallt direkt neben uns eine Ladung mit Ziegeln vom Dachfirst eines Baustellenhauses auf den Boden. Und natürlich hat uns kein einziger Splitter auch nur berührt. Mein vorletzter Urlaubstag in Bangkok soll den Irren und Armen geweiht sein. An einer Bushaltestelle tanzt eine Frau in silbernen Stöckelschuhen zu Ghettoblastermusik. Zahnlose Männer sitzen vor einem Pappkarton, auf dem sie drei falschgoldene Armbanduhren und eine Handvoll buddhistischer Amulette feil bieten. Ein Mann mit türkisen Kleidern und goldenem Haarreif in der langen grauen Mähne thront auf seinem geparkten Moped. Schlangenledergeldbeutel, Tumerikpulver, Tigerbalm, Erdbeeren, Komosöl zum Abwinken, getrocknete Krabben, gebratene Flunder, grüne Mangoschnitze mit Chillizucker, Suppen in Alutöpfen, Ananasspieße, mit Honig lackierte Hühnchenkeulen auf Grillfeuern, Glitzersaris, Turbanbordüren, Tamarinden, Secondhand-Klamotten, Geisterhäuschen mit biertrinkenden Männern am Rinnstein, Granatapfelkerne auf Eis, Rosenblüten in Plastiksäcken, Lotosblüten nach Gewicht, Gerberagirlanden, dottergelb. Schwindel. Welch schönes Wort. Mir schwindelt, ich muss mich setzen, eine Kachelkante am Blumenmarkt gibt Halt, um die schwindenden Sinne ob des Oberflächengeflirres zu stabilisieren. Ist alles Schwindel und morgen vorbei?